ALBRECHT FÖRSTER
UND
ULRIKE HERRMANN
EINE HISTORISCH
VÖLLIG NEUE SITUATION
Können wir weiterleben wie bisher, wenn wir auf ,,grüne Technologien“ setzen, oder müssen wir radikal umdenken, um das Überleben der Menschheit zu sichern? Schrumpfen oder wachsen – wie gelingt die Zukunft? Ein Gespräch zwischen der Journalistin und Bestseller-Autorin Ulrike Herrmann und Albrecht Förster, Vorstand Finanzen der ENTEGA AG.

Frau Herrmann, Sie haben einen Bestseller geschrieben, in dem Sie schon im Titel ein ,,Ende“ prophezeien – das ,,Ende des Kapitalismus“. Das klingt nicht gerade optimistisch. Oder sagen Sie, frei nach Hermann Hesse: Jedem Ende wohnt eine Chance inne?

U.H. Ja, durchaus. Tatsache ist ja, dass in einer endlichen Welt auch die Wirtschaft nicht unendlich wachsen kann. Es gibt Grenzen, und die haben wir mittlerweile objektiv erreicht – oder sogar überschritten. In Deutschland leben wir so, als gäbe es nicht eine Erde, sondern drei. Das funktioniert nur, weil andere Länder, vor allem in Afrika, bislang noch weniger Ressourcen verbrauchen. Aber auch sie wollen wachsen, und dann werden die Kapazitäten des Planeten erst recht überlastet. Das ist eine historisch noch nie dagewesene Situation. Sie bedeutet, dass der Kapitalismus enden wird, denn er ist nur stabil, wenn er immer weiter wächst. Schrumpfen kann er nicht, ohne Chaos und Millionen von Arbeitslosen zu erzeugen. An seine Stelle muss etwas Neues treten.

Herr Förster, sehen Sie uns auch in einer Art ,,Endzeit“?

A.F. In einer „Endzeit“ vielleicht nicht. Aber bestimmt in einer Wendezeit. In der Tat müssen wir umsteuern, wenn wir auch kommenden Generationen noch ein menschenwürdiges Leben auf der Erde ermöglichen wollen. Und wir haben nur eine Erde.

Und geht das nur ohne Kapitalismus?

A.F. Da bin ich mir nicht so sicher. Unsere europäische Form des Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft, bietet guten Spielraum auch für gemäßigte Formen von Wettbewerb und Wachstum, also keinen Raubtierkapitalismus. Kommunale Unternehmen wie ENTEGA sind ja dafür das beste Beispiel. Bei uns geht es schon heute nicht ausschließlich um die Steigerung von Renditen als Selbstzweck. Wir verfolgen einen Kurs des moderaten Wachstums und investieren dabei in nachhaltige Lösungen, insbesondere eben in erneuerbare Energien. Ganz ohne Wachstum aber könnten wir uns das gar nicht leisten.

U.H. Da haben Sie völlig recht. Für einzelne Unternehmen wie ENTEGA kann es „grünes Wachstum“ geben. Da Sie auf erneuerbare Energien setzen, können Ihre Umsätze steigen, ohne dass zugleich der CO2-Ausstoß und der Ressourcen- Verbrauch Ihrer Firma zunehmen. Eine solche Entkopplung ist aber für die gesamte Volkswirtschaft in Deutschland nicht möglich – schon gar nicht, wenn wir schon bis 2045 klimaneutral sein wollen.

Da gibt es aber jede Menge Zahlen, die das Gegenteil zeigen. Großbritannien, Deutschland, die Niederlande und viele andere Länder sind in den zurückliegenden Jahren deutlich gewachsen, haben aber zugleich ihren CO2-Ausstoß deutlich gesenkt.

U.H. Ja, das stimmt. Aber ein Trick war, dass diese Länder Kohle und Öl durch Gas ersetzt haben. Das führt zwar erst einmal zu einem Rückgang der CO2-Emissionen. Aber nur aus rein chemischen Gründen. Auch Gas ist fossil und emittiert sehr viele Treibhausgase. Zum anderen – und das ist noch viel wichtiger: Solche Zahlen verschweigen, dass ein Großteil der scheinbar gesparten Emissionen jetzt in anderen Ländern anfallen, weil wir unsere schmutzige Industrie dorthin ausgelagert haben: also in China oder in anderen Staaten des globalen Südens.

A.F. Trotzdem müssen wir ja handeln. Und zwar hier und jetzt. Natürlich kann ein einzelnes Land, schon gar nicht ein einzelnes Unternehmen, nicht allein die ganze Welt retten. Aber wenn wir über Chancen reden, dann muss unsere Aufgabe doch sein, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass ein Projekt wie die Energiewende gelingt und dass wir so viel wie möglich Energie aus grünen Quellen gewinnen.

Wird diese Energie denn reichen, um unseren bisherigen Lebensstandard auf lange Sicht zu sichern?

A.F. Wenn auch die Politik entschlossen umsteuert und die richtigen Rahmenbedingungen schafft, bin ich voller Zuversicht. Wir bei ENTEGA jedenfalls wollen bis Ende des Jahrzehnts den Strombedarf unserer Kundinnen und Kunden aus Erneuerbaren decken. Und als Brücke darüber hinaus könnten wir in unser modernes Gaskraftwerk perspektivisch auch mit grünem Wasserstoff betreiben.

U.H. Glückwunsch, wenn Ihnen das tatsächlich gelingen sollte. Aber auch hier gilt: Südhessen ist nicht die globale oder deutsche Wirklichkeit. Momentan decken Windkraft und Sonnenenergie nur rund 8 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs ab. Hinzu kommt das Problem, dass der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint. Wir werden also sehr viel Speicherkapazität benötigen. Und das heißt: entweder Batterien oder grünen Wasserstoff. Beides ist aufwändig und teuer, sodass die Öko-Energie perspektivisch knapp bleiben wird. Wenn wir klimaneutral leben wollen, wird die Frage daher sein: Wofür reicht die Öko-Energie noch – und wofür nicht?

Sie setzen also auf Verzicht?

U.H. Ja, aber nicht aus Freude an der Askese, sondern, weil die Öko-Energie knapp bleiben wird. Dieses „grüne Schrumpfen“ wäre aber gar nicht so schlimm. Keiner weiß genau, wie groß die nötigen Einbußen wären, aber der absolute Worst Case wäre wohl, dass wir unsere Wirtschaftsleistung um die Hälfte reduzieren müssen, um klimaneutral zu sein. Dann hätten wir immer noch den westdeutschen Lebensstandard von 1978. Wer dabei war weiß: Wir waren damals genauso glücklich wie heute – obwohl es nicht möglich war, für ein langes Wochenende nach Mallorca zu fliegen. Dafür war man drei Wochen in Italien am Strand.

A.F. Also, ich bin da doch etwas optimistischer. Seit Jahren sinken die Kosten für Solarmodule und Windräder. Zugleich werden die Anlagen immer effizienter. Und auch die Kosten für Batterien sind im vergangenen Jahrzehnt dramatisch gefallen. Das heißt: Sowohl auf der Erzeugerseite als auch bei der Speicherung arbeitet die Zeit für uns. Was die Energiewende zumindest hierzulande eher aufgehalten hat, das waren Bürokratie und überlange Genehmigungsverfahren. Sobald sich – auch unter dem wachsenden Druck, den Sie beschreiben – hier die Rahmenbedingungen ändern, sehe ich insgesamt gute Aussichten dafür, dass wir die Kurve in Richtung Nachhaltigkeit doch noch rechtzeitig kriegen, sogar im globalen Maßstab.

Sie glauben also nicht, dass dafür auch Verzicht nötig sein wird?

A.F. Doch, den wird es in bestimmten Bereichen geben müssen. Da gebe ich Frau Herrmann durchaus recht. Ob das wirklich auf 1978 herausläuft, weiß ich nicht. Aber wir haben es hier mit neuen Technologien zu tun und mit Kapazitäten, die erst noch aufgebaut werden müssen. Beides braucht Zeit, und es wird Übergangsphasen geben, in denen noch nicht alles in vollem Umfang funktioniert. Nehmen Sie mal nur die Netze: Der Umbau von der bisher zentralen Versorgung auf die dezentrale Energieversorgung erfordert zum einen den physischen Ausbau von Netzkapazitäten, zum anderen aber auch deren digitale Steuerung, wofür wir wiederum schnelles Internet und Glasfaserleitungen und Technologien wie die Smart Meter brauchen. Bis das alles da ist und voll umfänglich funktioniert, kann es zum Beispiel sein, dass man sein Auto an der heimischen Steckdose nicht zu jeder Zeit in jedem beliebigen Tempo aufladen kann. Und ich kann mir auch vorstellen, dass man die Entnahme von Heizwärme mal für ein paar Stunden drosseln muss, damit insgesamt genug Strom zur Verfügung steht.

,,Erneuerbare Energie wird noch für sehr lange Zeit eher knapp und deshalb vergleichsweise teuer sein.
Deshalb wird es Einschränkungen geben.“
Ulrike Herrmann

U.H. Es stimmt, dass die Solarpaneele und Windräder effizienter werden. Aber das wird nicht reichen, um die Knappheiten beim Öko-Strom zu beseitigen. Um jedoch das Thema zu wechseln: Parallel verschärft sich die Klimakrise, die längst eingesetzt hat. Wasser wird in einigen Regionen bereits knapp; Dürren und Hitzeperioden werden sich künftig häufen. Da bleibt nur noch die Rationierung, um zu entscheiden, wer das knappe Wasser nutzen darf: die Landwirtschaft, die Industrie oder die privaten Verbraucher.

Und eine solche Rationalisierungspraxis empfehlen Sie in Ihrem Buch auch für die Wirtschaft insgesamt.

U.H. Ich empfehle sie nicht, ich beschreibe nur, dass die Politik wahrscheinlich Rationierungen vornehmen muss, um Klimaschutz und Klimakrise zu meistern. Da wir „grünes Schrumpfen“ benötigen, ist die Frage doch: Wie stellen wir sicher, dass alle Menschen ein sicheres Einkommen haben? Denn einige Branchen wird es nicht mehr geben, weil sie zu viel Energie fressen: Dazu gehört zum Beispiel das Fliegen oder das private Auto.

Auf der Suche nach einer Antwort sind Sie in der Geschichte fündig geworden und nennen die britische Kriegswirtschaft als Vorbild. Wie soll das gehen?

U.H. Wir stehen vor dem Problem: Wie kann man unseren Kapitalismus schrumpfen, ohne dass Chaos ausbricht? Mit genau dieser Herausforderung waren auch die Briten 1939 konfrontiert, weil sie nicht genug Waffen hatten, um sich gegen Hitler zu verteidigen. Da blieb nur eine Lösung: Sie mussten ihre zivile Wirtschaft runterfahren, um Produktionskapazitäten für das Militärgerät freizuräumen. Die Briten haben damals eine private und demokratische Planwirtschaft erfunden. Es wurde nichts verstaatlicht; Unternehmer und Manager konnten in den Fabriken frei entscheiden. Aber der Staat hat Vorgaben gemacht, was noch produziert wird – und die knappen Güter gerecht verteilt. Davon lässt sich viel lernen.

,,Wir müssen die Netze ausbauen und ihre digitale Steuerung voranbringen. Deshalb engagieren wir uns auch beim Thema Glasfaser.“
Albrecht Förster

A.F. Das ist theoretisch interessant, praktisch aber doch ziemlich unwahrscheinlich. Jedenfalls, wenn wir davon ausgehen, dass ein solches System im Rahmen demokratischer Strukturen eingeführt werden soll. Ich sehe nicht, wie es dafür eine Mehrheit geben sollte. Außerdem haben die Menschen damals die Rationierungen bei Lebensmitteln und bei Kleidung ja auch nur deshalb hingenommen, weil sie wussten oder doch hofften, dass der Verzicht zeitlich begrenzt bleiben würde. Als Vision für eine lebenswerte Gesellschaft auf Dauer finde ich die Rationierungswirtschaft deshalb eher wenig überzeugend.

Was stellen Sie sich stattdessen vor?

Ich setze auf demokratische Mehrheiten für Rahmenbedingungen im Zeichen der Nachhaltigkeit. Und auf die Marktmechanismen, sprich eine ehrliche Bepreisung von CO2-Emissionen und Ressourcenverbrauch. Beides zusammen kann dafür sorgen, dass wir dort weiterwachsen, wo es mit den Ansprüchen des Planeten vereinbar ist, und uns von schädlichem Wachstum nach und nach verabschieden. Unsere Idee von Wohlstand werden wir dann an diese neue Realität anpassen. Wenn es darauf ankommt, sind Menschen ja doch lernfähig.

Frau Herrmann, Herr Förster – besten Dank für das Gespräch.

Wer das Meer erkunden will,
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Wer ein Buch schreiben will,
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Wer wissen will, wer er ist,
muss seine Möglichkeiten nutzen.

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